Halte Deinen Sinn von Ärger frei! So lautet der Ratschlag aus einem der Weisheitsbücher des Alten Testaments (Koh 11,10). Das raten auch Psychologen ihren Klienten, denn Ärger frisst auf die Dauer die Seele auf und schadet jeder Form von Partnerschaft und Gemeinschaft. In einem Artikel las ich von einem Ratschlag, den ein Standesbeamter den Paaren gab, die er traute: Sie sollten die drei Eigenschaften ihres jeweiligen Partners oder ihrer Partnerin herausfinden, die sie am meisten nerven, und sich dann vornehmen, den Rest ihres Lebens darüber hinwegzusehen. Leichter gesagt als getan. Aber es ist ein guter Ratschlag, denn Versuche, den anderen zu ändern, haben oft wenig Erfolg. Dazu kommt noch, dass wir dazu neigen, die eigenen Fehler zu minimieren und die der anderen zu maximieren.
Davon spricht Jesus im Matthäusevangelium (Mt 7,3-5): Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders; aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!-und dabei steckt in deinem Auge ein Balken? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.
Das heißt natürlich nicht, dass man jeden Ärger einfach herunterschlucken sollte. Manchmal müssen Konflikte ausgetragen werden, um eine Situation zu bereinigen.
Viele Menschen leiden an Verbitterung als Folge chronischen Ärgers. Der Berliner Psychiater und Psychologe Michael Linden hat vor zehn Jahren ein Syndrom beschrieben, das er als Verbitterungsstörung bezeichnet. Sie entsteht, wenn jemand in einer Partnerschaft oder Ehe, in der Arbeit oder im sozialen Leben anhaltend Kränkung, Herabsetzung und Ungerechtigkeit erfährt. In dramatischer und schrecklicher Weise kann dies sogar zu Amokläufen als Rache für wirkliches oder vermeintlich erlittenes Unrecht führen wie Beispiele aus den letzten Jahren und Jahrzehnten zeigen.
Bei einer Umfrage berichteten die Hälfte der Befragten, schon einmal in den letzten zehn Jahren längerfristig Gefühle von Verbitterung verspürt zu haben. Im Alltag äußert sich das als Depression, Resignation oder sogenannte „innere Kündigung“ , oft gepaart mit Hilflosigkeit, Antriebsschwäche, Schlafstörungen aber auch unterschwelliger oder offener Aggression gegen sich selbst oder andere, im Extremfall bis hin zu Mord- oder Suizid - Phantasien.
Bitternis kehrt vor allem dann ein, wenn Grundannahmen des eigenen Lebensmusters ins Wanken geraten z.B. Zusammenhalt der Familie, berufliches Ansehen und Kompetenz oder auch eigene Gesundheit.
Oft sind die Betroffenen nur noch auf das Negative in ihrem Leben fixiert. Sie oder er vermag nicht mehr, die positiven Seiten in ihrem oder seinem Leben oder bei anderen zu sehen. Da braucht es jemanden, der demjenigen, der so empfindet, die Augen öffnet für das, was an ihm und der Welt noch gut ist.
Ich denke, wir sind in diesen Zeiten alle etwas gefährdet, die Dinge allzu negativ zu sehen.
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