GOTTESGEGENWART

Geschrieben am 15.06.2024
von Joachim Heisel


Wenn wir an einer Ampel stehen und ein Kind steht neben uns, verhalten wir uns besonders korrekt. Wir laufen  nicht bei Rot über die Kreuzung, auch wenn wir das sonst in unbewachten Augenblicken schon mal tun würden. So ist es auch mit der Gegenwart Gottes. Ein Freund von mir, der zu seinem Vater ein sehr herzliches Verhältnis hatte, erzählte mir, daß er, als der Vater starb, immer wieder dachte: Der Vater sieht mich. Das hat von da an sein Leben irgendwie geprägt, noch mehr als zu Lebzeiten des Vaters.

Gott ist unser aller Vater und er sieht uns. Früher wurde das mit einem Auge in einem gleichmäßigen Dreieck  in den Kirchen dargestellt. Das Dreieck war Symbol für den dreieinigen Gott und das Auge für seine Allgegenwart. Gott sieht alles! Motto: ein Auge ist, das alles sieht, auch was in finsterer Nacht geschieht! Man hat  manchmal den totalen Überwachungsgott, den "Big Father" daraus gemacht und dabei vergessen, daß dieses  Auge, das alles sieht, ein Auge voller Liebe und Verständnis ist.

Es täte uns gut, wenn wir wieder daran glauben könnten: Dein Vater Gott sieht dich. Er ist an deiner Seite. Wenn wir uns der Gegenwart Gottes in unserem Leben bewußt sind, verhalten wir uns anders. Ein Mensch mit und ohne Gegenwart Gottes ist wie ein Mensch mit  nur einem oder mit zwei Augen. Mit  zwei Augen kann man räumlich sehen, mit nur einem nicht. Ein Mensch mit nur einem Auge sieht nur eindimensional., während der andere die ganze Perspektive des Raumes und seiner Dimensionen wahrnehmen  kann.

Ein Bild aus der Kindheit ist mir immer noch gegenwärtig. Meine Mutter steht am Bügelbrett in der Küche, während ich im Wohnzimmer meine Hausaufgaben mache oder spiele. Es ist ein anderes Gefühl, ob die Mutter im Nebenraum ist oder nicht. Man verhält sich anders, spürt die Nähe, steht nicht ständig auf und beschäftigt sich mit anderen Dingen. Ein Familienvater denkt ab und zu an seine Familie. Aber auch wenn er nicht an sie denkt, lebt und arbeitet er  unbewußt auf dem Hintergrund , daß er Mann dieser Frau und Vater dieser Kinder ist.

Wir sollten versuchen, auf dem Hintergrund der ständigen Gegenwart Gottes zu leben und zu  atmen. 

Dag Hammarskjöld (1905 - 1961), der erste Uno-Generalsekretär und Träger des Friedensnobelpreises schöpfte jeden Tag Kraft im Gebet. Eines seiner Gebete lautete: „Mein Atem, mein Ein- und Ausatmen ist Ausdruck meines ganzen Wesens. Ich tue es für dich – mit dir – in dir –. Wir atmen miteinander“. So betete er und spürte diesen Hauch der Einheit, der die ganze Schöpfung durchweht und uns das Atmen ermöglicht. Wir haben  heute vor allem Angst, dass der Mensch selbst sich die Luft zum Atmen nimmt. Aber wir haben vielleicht auch das Gespür dafür verloren, dass wir nicht von allein atmen, dass wir uns nicht selbst verdanken, dass da etwas Größeres ist als wir selbst.

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