EINSAMKEIT

Geschrieben am 19.06.2024
von Joachim Heisel


Um die Einsamkeit ist`s eine schöne Sache, wenn man mit sich selbst in Frieden lebt und was Bestimmtes zu tun hat.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)

Allein zu sein! Drei Worte, leicht zu sagen, und doch so schwer, so endlos schwer zu tragen. 

Adelbert von Chamisso (1781 - 1838)

Wenn man Soziologen glauben kann, wird in den Industrienationen Einsamkeit ein führendes Problem unserer Gesellschaft sein. In Schweden leben schon jetzt dreißig Prozent der Menschen als Single, in München gibt es mehr als fünfzig Prozent Single-Haushalte. Innnenministerin Paus hat nun zu einer "Aktionswoche gegen Einsamkeit" aufgerufen und will 70 Millionen Euro in ein Programm gegen Einsamkeit in der Gesellschaft investieren. Einsamkeit erschien lange Zeit als ein Problem des hohen Alters. Nun hat eine Studie der Bertelsmann Stiftung herausgefunden, dass sich von Befragten im Alter zwischen 16 und  30 Jahren 11 Prozent sehr einsam fühlen und 35 Prozent moderat einsam, wobei junge Frauen häufiger betroffen sind. Am stärksten einsam fühlte sich bei dieser Umfrage die Altersgruppe von 19 bis 22 Jahren. Zwar hätten die jungen Leute nach dem Ende der Pandemie wieder genügend Kontakte,  jedoch werden sie oft als unbefriedigend wahrgenommen. Motto: Lieber allein als gemeinsam einsam!

Je einsamer sich jemand fühle, desto geringer sei seine Lebenszufriedenheit, so die Studie. Risikofaktoren seien gescheiterte Beziehungen, Arbeitslosigkeit, niedrige Bildung, das Leben in mittelgroßen Städten und Migrationshintergrund. 
 
Nach einer anderen Umfrage fühlt sich jeder Zehnte in Deutschland einsam, wobei diese Menschen zwar oft in sozialen Kontakten eingebunden sind, aber emotionale Wärme vermissen. Jeder möchte gern auch einmal allein sein. Aber für den, der allein sein muss, weil er niemanden hat, kann Alleinsein in Einsamkeit umschlagen.

Im Johannesevangelium (vgl Joh 5,1-9) wird ein Mensch geschildert, der einsam war und niemanden hatte, der ihm half. In Jerusalem gab es den Teich Bethesda. Um den Teich waren Hallen, in denen viele Kranke auf Heilung warteten, denn ein Engel des Herrn stieg von Zeit zu Zeit  herab und brachte das Wasser in Wallung. Wer es dann schaffte, in den Teich zu steigen, wurde geheilt. Jesus ging zu diesem Teich. In den Hallen lag auch ein Mann, der schon achtunddreißig Jahre krank war. Als Jesus ihn dort liegen sah und erkannte, dass er schon lange krank war, fragte er ihn: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich, sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt. Während ich mich hinschleppe, steigt schon ein anderer vor mir hinein. Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Liege und geh! Sofort wurde der Mann gesund, nahm seine Liege und ging.

Der heilige Josemaria Escriva (1902 - 1975) erläuterte diese Szene oft in seinen Betrachtungen. Er sagte, dass niemand – weder Frau noch Mann - in unserer Umgebung das Gefühl dieses Mannes haben dürfe: Ich habe keinen Menschen, der sich um mich kümmert.

Als Menschen mit Empathie und erst recht als Christen können wir die Menschen in unserer Umgebung nicht allein lassen mit ihren Nöten und Problemen. Tatsächlich kann das aber selbst im gleichen Haus, ja in der eigenen Familie geschehen, dass wir nicht hinschauen und hinhören. Elke Schilling gründete 2016  Silbernetz, eine Hotline für Menschen, die sich einsam fühlen. Die Diplommathematikerin rüttelte auf, dass ein Mann in dem Mietshaus, wo sie wohnte, schon wochenlang tot in seiner Wohnung lag. Niemand hatte reagiert, als sein Briefkasten von Reklame-Flyern überquoll. Sie selbst hatte ihm zuvor Hilfe angeboten, die er aber nicht angenommen hatte.

Während meiner Praxistätigkeit in München habe ich mehrfach erlebt, wie auch junge Menschen nach Schlaganfällen mehrere Tage hilflos in ihrer Wohnung lagen, ohne dass es jemand bemerkte.

Gerade bei den Nächsten in unserer unmittelbaren Umgebung kann es passieren, dass wir nicht reagieren, weil der graue Star des Alltags unseren Blick trübt oder weil wir Angst haben, uns ein Problem an den Hals zu hängen.

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