Vom ersten öffentlichen Auftreten Jesu als Prophet des kommenden Gottesreiches berichten uns die Apostel Matthäus und Lukas in der sogenannten Bergpredigt, die gewissermaßen das „Regierungsprogramm“ des kommenden Reiches Gottes ist (Mt 5,3-12 ; Lk 6, 20 – 25):
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm. Und er öffnete seinen Mund und er lehrte sie und sprach:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt.
Mahatma Gandhi (1869-1948), der Prediger der Gewaltlosigkeit, nannte die Bergpredigt die einzige Botschaft, die die Welt retten kann.
„Selig die arm sind vor Gott“. Mit dieser ersten Seligpreisung beginnt die Predigt Jesu.
Heutige Bibelauslegungen verstehen darunter eine Armut im Geiste, wobei materielle Armut dazu hilfreich sein kann. Deshalb empfiehlt die Kirche seit Jahrhunderten den Ordensleuten auch die materielle Armut. In unseren Tagen hat uns Mutter Teresa das exemplarisch vorgelebt.
Arm im Geiste sind diejenigen, die vor Gott arm sind oder wie Martin Luther dazu gesagt hat: Wir sind Bettler, das ist wahr.
Der Philosoph Sokrates (469-399 v. Chr.) hat gesagt: Ich weiß, dass ich nichts weiß. - Jede wahre Erkenntnis beginnt mit dem Eingeständnis des Nichtwissens. Reine Besserwisser haben im Reich Christi keinen Platz, da sie der Armut im Geiste nicht fähig sind. Nur wer immer wieder seines eigenen Nicht-Wissens um die innersten Zusammenhänge inne wird, kann mit der Wahrheit und Weisheit Gottes beschenkt werden. Mit Corona haben wir einen Teil unserer Rüstung an Wissenschaftsglauben, Selbstgewissheit, Stolz auf uns selbst, Vorhersehbarkeit, Machbarkeit und Konsumgewißheit ablegen müssen und stehen nun gewissermaßen ärmer da. Das kann auch Gewinn sein für die von Christus geforderte Armut im Geiste.
Wer arm ist, hat nicht viel, manchmal nicht einmal genug zum Essen. Der französische Schriftsteller Antoine de St. Exupéry (1900-1944) hat auf seinen Wüstenexpeditionen festgestellt, dass Bewohner der Wüste glücklicher sind als Oasenbewohner. Er führte das darauf zurück, dass die Wüstenbewohner weniger Dinge haben als die Oasenbewohner.
Aus der Antike ist als Ikone der Bedürfnislosigkeit Diogenes(413-323 v. Chr.) bekannt, der in einer Tonne lebte.
Etwa 50 Millionen Kinder auf der Welt Leben von Müll. Sie sind wirklich arm. Ihnen steht als zu Hause nur eine Wellblechhütte oder ein Zelt zur Verfügung. Sie ernähren sich von dem, was andere Menschen wegwerfen. Das kann uns zur Mahnung sein, wie gut es uns geht und wie ungleich die Güter verteilt sind.
Wir halten denjenigen für glücklich, der reich genug ist, damit er sein Leben nach freien Vorstellungen gestalten kann. Es gibt allerdings aus den Sagen der Antike ein abschreckendes Beispiel wie unersättliche Gier zum Verhängnis wird. Der antike König Midas war mit dem Gott Dionysos befreundet. Er wünschte sich von ihm die Gabe, dass alles zu Gold wird, mit dem er in Berührung kommt. Aber als er feststellte, dass auch sein Kotelett und der Wein, den er trinken wollte, zu Gold wurde,, hörte für ihn der Spaß auf und er bat seinen Götterfreund demütig darum, alles wieder rückgängig zu machen.
Das berühmte Buch „Die Nachfolge Christi“ von Thomas von Kempen (1380-1471), ein Buch, das unzähligen Menschen Weisung in ihrem Leben als Christen gegeben hat, unterscheidet zwischen einem Trost, den die Welt bietet, und dem Trost, den Gott schenkt. Die Selbsttröstung in der Welt besteht darin, dass wir die Güter dieser Welt bis zum Übermaß genießen: Essen, Trinken, sexueller Genuss, Reisen, Urlaub, Sport, Shoppen, Internetsurfen und alles, was unsere Erlebnisgesellschaft sonst noch bietet. Oft merken wir aber bald, dass wirklicher Trost sich nur momentan einstellt und oft keine dauerhafte Zufriedenheit eintritt. Das hängt auch damit zusammen, dass eine Steigerung immer noch möglich ist oder dass der Blick auf den besser gefüllten Teller des Nachbarn neidisch machen kann.
Allerdings wurde das Buch des Thomas von Kempen vor allem für Ordensleute geschrieben und ist somit nur dem Geiste nach für normale Weltchristen anwendbar, denn natürlich sind uns als Christen alle diese Dinge erlaubt und gut, wenn wir dabei die Tugend des Maßes beachten, die verhindert, dass wir von den Dingen beherrscht werden. Denn dann sind wir davon abhängig und uns fehlt die notwendige Armut vor Gott, die Christus fordert.
Der Mystiker Johannes Tauler (1300-1361) sprach vom ledigen Gemüt, das wir vor Gott haben sollen, was ganz gut der „Armut im Geiste“ entspricht. Er meint dabei, dass in unserem Herzen ein Platz für Gott frei bleiben muss.
Es gibt ja den Spruch: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Tatsächlich werden wir am Ende unseres Lebens nichts mitnehmen können. Bei Wohnungsauflösungen erlebt man es immer wieder, wie Dinge, die Jahrzehnte gebraucht wurden und jemamdem wichtig waren, plötzlich auf dem Müll landen.
Manchmal kommt es auch zu unfreiwilliger Umverteilung von Geld. So hatte der vermögende Schwager einer Nachbarin die Gewohnheit, einen Teil seines Geldes in den Taschen seiner alten Mäntel auf dem Speicher aufzuheben, ohne dass seine Frau das wusste. Eines Tages kam ein Bettler und bat um Kleidung für den Winter. Seine Frau hatte Mitleid und gab dem Bettler vom Speicher den alten Mantel ihres Mannes…
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