Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Lage in Deutschland und Europa so fragil wie heute. Im Osten tobt ein Krieg, der kein Ende nehmen will. Als Einzelne fühlen wir uns machtlos und ohnmächtig gegenüber einer ungewissen Zukunft. Im kollektiven Unterbewusstsein der Deutschen ist die Angst, dass wir als Land mitten in Europa zum Ziel - und Angelpunkt politischer und militärischer Auseinandersetzungen werden könnten. Diese Angst steckt tief bei uns drin.
Im Dreißigjährigen Krieg von 1618-1648 war Deutschland 30 Jahre lang der kriegerische Schauplatz widerstreitender politischer Kräfte in Europa. Was als Religionskrieg begonnen hatte, endete als Kampf um die Macht in Europa. Am Ende war ein Drittel der Bevölkerung, von 18 Millionen etwa 6 Millionen Menschen, Opfer dieses Krieges und das Land verwüstet und zerstört, eine fast noch schlimmere Katastrophe als der Zweite Weltkrieg.
Zu der derzeitigen dramatischen politischen Situation kommt noch die jetztige wirtschaftliche Schwäche. Andere Probleme wie Klimakatastrophe, Migration, latente Seuchengefahren sowie die demographische Entwicklung verdüstern zusätzlich den gegenwärtigen Horizont.
Als Resilienz oder auch Krisenfestigkeit bezeichnet man die Fähigkeit, „Krisen unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Resourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (Rosemarie Welter-Enderlin). Das heisst, wer auf Grund erworbener oder günstiger sozialer und biografischer Gegebenheiten eine Krise erfolgreich besteht, ist resilient. Das kann man auch in gewisser Weise auf eine Gesellschaft übertragen.
Bisherige Gewissheiten sind zerbrochen. Die politische Landschaft ist zerrissen, sodass Gemeinsamkeiten, die zur Bewältigung der Krise notwendig wären, schwer zu erzielen sind.
Das Wort Krise kommt aus dem griechischen und bedeutet Urteil, Entscheidung. Es geht also darum, Entscheidungen zu treffen, die bisher nicht vorauszusehen waren. Wie man jetzt sieht, ist es für uns schwer, dem zu entsprechen.
Als Nachkriegsgeneration sind wir in Deutschland von kollektiven existentiellen Krisen weitgehend verschont geblieben. Wenn es einmal irgendwo gebrannt oder auch nur gehakt hat, konnten wir uns darauf verlassen, dass andere für uns fürsorglich eingeschritten sind oder den Brand gelöscht haben. Nach 1989 glaubten wir, nur von Freunden umgeben zu sein. Jetzt müssen wir mit einem Mal feststellen, dass dem nicht so ist, obwohl es auch schon vorher Warnschilder gab.
Dieser Tage sah ich eine Dokumentation über die Gebrüder Grimm, die im 19. Jahrhundert für uns Märchen gesammelt und aufgezeichnet haben. Eines davon ist die Geschichte von Hänsel und Gretel. Ihre Eltern haben in ihrer Not sie in einen Wald geführt und sie dort zurückgelassen, vielleicht in der Hoffnung, dass jemand sie finden würde, der besser für sie sorgen könnte als sie selbst. Hänsel hatte vorsichtshalber Kieselsteine mitgenommen und damit den Weg markiert, wodurch sie zum Haus der Eltern zurückgefunden haben.
Wollen wir hoffen und vielleicht auch darum beten, dass unsere Politiker und wir alle miteinander die richtigen Kiesel an der richtigen Stelle auslegen, um den richtigen Weg zu finden.
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Hinweis: Am 25. März um 19:00 Uhr findet im Pfarrsaal der Pfarrei St. Martin, Eversbuschstr. 9, 80999 München eine Autorenlesung aus meinem Buch Jahrgang 1945 – ein biografisches Zeit- mosaik statt, zu dem alle Interessenten herzlich eingeladen sind.